“You don’t see Seline Baumgartner in her art, at least not directly: you see instead her steady gaze, those warm eyes open and trained on others. In her recent videos Baumgartner has been collaborating with New York dance royalty: Sally Gross, Meg Harper, Jon Kinzel, Keith Sabado, Vicky Shick and Robert Swinston. None of these performers are young, a fact that has been made much of in most of the writing about this body of work. But this fact is almost entirely uninteresting, really, other than what it reveals about tedious Western expectations around bodies. The real point here isn’t age, but experience, and how it deepens artistry. Small, subtle shifts of weight, of gaze, of intensity, these all take on outsize implications—the point is never what these individuals do, but how. Baumgartner gives the space for these implications to ripple out, overlap, interrupt…creating the most satisfying sort of portrait, the non-narrative one.
There are many complicated intellectual scaffolds one can erect around the intersection between camera and body. But there are also wordless pleasures. All that the doer does. All that the seer perceives. This is something besides. The way time moves, catches, redirects. The frame is full; and then it is empty.” - Excerpt from a text by Claudia La Rocco
hhh-hhh-hhh-hhh... Wir sehen und hören zunächst dasselbe: Sanft rollt Welle um Welle gegen den verlassenen Strand und zieht sich wieder zurück - als ob das Meer atmen würde. Dann schreiten vier Tänzer ins Bild, eingemummt in Jacken und Mützen. Nun scheinen sie diejenigen zu sein, deren Atemzüge wir - mal locker, mal gepresst, mal pfeifend, mal gurgelnd - hören, während sie in wechselnden Konstellationen zu immer neuen Bewegungsabläufen ansetzen, ohne jedoch über kurze Sequenzen hinauszukommen. Auch hier überlagern sich Bild und Ton, verstärken sich und lassen gleichzeitig durch feine akustische und optische Interferenzen deutlich werden, dass die Atemgeräusche doch nicht von den Tänzern, sondern aus einer anderen Quelle stammen. Wer führt hier die Choreografie? Was wird gespielt? Imitieren die Figuren die aus dem Meer aufragenden verrotteten Holzpfähle? Den Kran eines am fernen Horizont vor sich hindümpelnden Lastkahns? Oder das Rollen der Wellen? Letztlich ist es gleichgültig. ‹Before the Future› erzählt keine schlüssige Geschichte. Und erst im Close-up erkennen wir: Die Tänzer sind nicht mehr jung und doch sind die Gesichter im Abendrot voll pulsierenden Lebens.
Zeit wird im Alltag meist als Verlust - vergangen - oder als Versprechen für die Zukunft wahrgenommen. Doch Seline Baumgartner, (*1980), die diesjährige Preis- trägerin der Dr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung, spürt in ihren Werken einer anderen Qualität von Zeit nach. Sie schildert Momente der Intimität, der Begegnung, der Trennung, des Innehaltens und des Glücks, wenn hier bspw. die letzten Sonnenstrahlen des Tages eines der Gesichter am Strand zum Leuchten bringen. Der Titel des Videos bezieht sich auf ein Buch des italienischen Philosophen und Medienkritikers Franco Berardi ‹After the Future›. Zukunftslosigkeit bedeutet bei Baumgartner allerdings nicht Melancholie, sondern Widerstand.
Textausschnitt: Claudia Jolles, Kunstbulletin 3/2015